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NRZ, http://www.derwesten.de/nrz/  23.12.2012

Kirchengeschichte


Ein Schmuckstück aus Samt und Gold


Köln/Rees. Wertvolle Kasel der Kirchengemeinde St. Mariä Himmelfahrt Rees
wurde in Köln restauriert. 2013 soll das Gewand aus dem 16. Jahrhundert wieder
nach Rees gebracht werden.

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Monika Nürnberg ist Diplom-Restauratorin für Textilien.            Foto: Maria Raudszus

 


Rotes Weinlaub rankt sich über dem Reliquienbeutel, ein weißer Drache bahnt sich auf dem Stoff
seinen Weg. Monika Nürnberg hat den kostbaren Beutel aus dem 14. Jahrhundert nicht einfach auf den
Tisch gelegt, sondern ihn auf säurefreies Seidenpapier gebettet, das noch durch darunter liegende
Pappe gestützt wird. Mit einer winzigen halbrunden Nähnadel zieht die diplomierte Restauratorin für
Textilien feine Seidenfäden über eine schadhafte Stelle im Gewebe. „Halbrund ist die Nadel, damit ich
den wertvollen Stoff bei der Arbeit nicht anheben muss“, erklärt sie. Genau so hat es ausgesehen, als
die Kölnerin, die im Institut für historische Textilien arbeitet, die Kasel der Kirchengemeinde St. Mariä
Himmelfahrt Rees restauriert hat. Derzeit ruht das liturgische Gewand aus dem 16. Jahrhundert –
wieder von säurefreiem seidigen Papier umgeben – in einer Box und wartet auf seine Rückkehr von
Köln nach Rees.
Das soll voraussichtlich 2013 geschehen. „In der Reeser Kirche gilt es zunächst, eine
Aufbewahrungssituation zu schaffen, die sicherstellt, dass diese Kasel und weitere wertvolle Textilien
im jetzigen Zustand konserviert werden“, erklärt Dr. Gudrun Sporbeck, Kunsthistorikerin und seit 1999
mit der Leitung des Kölner Instituts für historische Textilien betraut. Im kommenden Jahr will sich die St.
Mariä Himmelfahrt-Gemeinde diverse Schubkästen und eine Vitrine anschaffen, in denen die wertvollen
Paramenten in kontrolliertem Klima – bei einer relativen Luftfeuchte von 55 Prozent – vor weiterem
Verfall geschützt bleiben.


Für festliche Liturgie angefertigt
Dass die in Köln restaurierte Kasel aus dunkelrotem Seidensamt mit aufwendiger Goldstickerei einen
besonderen kunstgeschichtlichen Wert darstellt, beweist schon die Tatsache, dass sie im Frühjahr
dieses Jahres den Weg in die Ausstellung „Goldene Pracht - Mittelalterliche Schatzkunst in Westfalen“
in der Domkammer der Münsteraner Kathedralkirche St. Paulus fand.

„Eine Kasel, die für die festliche Liturgie angefertigt worden ist“, ist Gudrun Sporbeck sicher. Sie
vermutet sogar, dass die Kasel eigens für die Weihnachtsliturgie angeschafft wurde, wo sie im Schein
der vielen Kerzen ihre Schönheit und Pracht voll entfalten konnte.
Erstmals angelegt hat sie vermutlich ein Priester, der ein Hochamt zelebrierte in dem im Jahre 1460
gegründeten Birgittenkloster in Marienbaum, dem kleinen niederrheinische Ort, der sich bis ins 17.
Jahrhundert zu einem blühenden und weithin bekannten Wallfahrtsort entwickelte.
Das lässt sich aus einigen Indizien herleiten. Dicht unter dem Querbalken des goldfarbenen
Kaselkreuzes auf der Rückseite des Gewandes weisen zwei Wappen auf das Stifterpaar hin: des auf
Burg Wissen ansässigen Ritters Wessel III. von Loë (nach 1565-1625), Kammerpräsident des Herzogs
Johann Wilhelm, und seiner Frau Sophia von Haes († 1629). Zwei Töchter des Stifterpaares standen
dem Kloster zu jener Zeit als Äbtissinnen vor.


Kasel schlummerte im Schrank


Zudem verweisen die Rundmedaillons aus Vorder- und Rückseite auf die Heilige Birgitta von Schweden
(1303-1373). Dort sind Szenen aus dem Leben Jesu und Maria zu sehen, darunter im Zentrum des
Kaselkreuzes die Darstellung der Geburt Christi. Diese Szenen beziehen sich auf die Visionen der
schwedischen Heiligen. Vor der Säkularisation muss die Kasel dann irgendwann nach Rees gekommen
sein.

 

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Dr. Gudrun Sporbeck, Kunstgeschichtlerin und Leiterin des Institus für historische Textilien in Köln.  

Foto Maria Raudszus 

 

Hier schlummerte das Gewand in einem Schrank, bis die Deutsche Bischofskonferenz Ende der
70er-/Anfang der 80er-Jahre veranlasste, die Kunstdenkmäler nach und nach zu inventarisieren.
„Ein erheblicher Aufwand, muss man dafür doch jede noch so kleine Kirche aufsuchen“,
so Dr. Sporbeck.

Im Zuge dieser Inventarisierung stieß man im Sommer 2010 in Rees auf zwei sehr wertvolle
Messgewänder, ein Ornat aus goldfarbenem Samt mit Granatapfelmuster aus dem 19. Jahrhundert und
das Ornat aus dem 16. Jahrhundert, bestehend aus Chormantel, zwei Dalmatiken (Messgewänder für
Konzelebranten), Stolen, Manipelen, also kurzen Stolen, einem Kelchvelum und eben der schon
erwähnten weinroten Kasel. „Alles war so aufbewahrt, dass es für die bereits angegriffenen
Messgewänder auf Dauer weiter schädigend gewesen wäre“, so Dr. Sporbeck.


Geschichte soll durchscheinen


Die Paramenten wurden mit aller Vorsicht ins Kölner Institut geschafft, der Staub abgetupft, die
Schadstellen mit passend eingefärbter Seide unterlegt, mit Seidenfäden überfangen. „Aber wir
restaurieren nicht, wir konservieren“, erklärt Dr. Gottfried Stracke, Geschäftsführer des Institutes. Denn
es geht den Fachleuten nicht darum, den originalen Zustand wiederherzustellen, sondern vielmehr
darum, die Geschichte der historischen Textilie durchscheinen zu lassen.


„Wir sind auch nicht so gut wie die Stickerinnen im Mittelalter, wir würden also interpretierend
eingreifen“, macht Dr. Gudrun Sporbeck klar. Restaurationen, die beispielsweise im 19. Jahrhundert
vielfach von den Schwestern vom Armen Kinde Jesu ausgeführt wurden, werden als in die Geschichte
weisende Spuren belassen. Diese Ordensgemeinschaft unterhielt in ihren Konventen in Aachen, Köln
und im niederländischen Simpelveld Werkstätten.


Die Ordensfrauen hatten eine derartige Könnerschaft beim Restaurieren entwickelt, dass sie vor allem
bei besonders wertvollen Ornaten um Hilfe ersucht wurden. Dr. Sporbeck: „Es ist davon auszugehen,
dass sie auch die Kasel aus dem 16. Jahrhundert aus Rees kannten.“


Zu schmale Bügel


Ihr Gittermuster versetzter Spitzovale mit stilisierten schmuckstueck3
Granatapfelmotiven hatte vor allem an den Schultern
gelitten. „Weil Messgewänder meist auf zu schmalen Bügeln
gehängt werden“, erklärt Kunsthistoriker Dr. Stracke. Daher
musste Restauratorin Monika Nürnberg vor allem dort die
Seide unterlegen, Goldfäden wieder einfügen. „Auch an der
Vorderseite gab es einige Schadstellen, weil dort das
Gewand durch die Handlungen des Priesters mehr
beansprucht wurde und weil es gegen den Altartisch stößt,
somit mehr Abrieb hat“, erklärt sie. 30 bis 40 Stunden hat sie
damit zugebracht, die Kasel zu konservieren.


Die in feiner Lasurstickerei ausgeführten Besätze mussten
ebenfalls wieder fixiert werden. Es liegt nahe, dass es sich
hier um Arbeiten der in Lier im niederländischen Brabant um
1540 tätigen Werkstatt des Gommert Minten handelt.             Die Rückseite der Kasel
„Darauf schließen wir, weil sie ihre unmittelbare Parallele in            Foto: Maria Raudszus
den Stickereien haben, die in der Riswick-Kapelle des St.
Viktor-Doms zu Xanten haben“, so Dr. Gudrun Sporbeck.       


Eine von vielen historischen Details, die für das Kölner Institut ganz selbstverständlich zur Restauration
gehören. Diese umfasst nämlich nicht nur die materialbezogene Konservierung, sondern auch die
kunsthistorische Analyse – womit der Stoff quasi in die Kunstgeschichte eingebettet ist.


Von Maria Raudszus